rituelle Gestaltung

Kein Ritual auf dieser Welt wird nur zum Spass gemacht, es braucht einen Grund für seine Durchführung.
Rituale – vor welchem Hintergrund und mit welchem Ziel sie auch stattfinden – sind Mittel des Ausdrucks. Sie sprechen von Ehrfurcht und Liebe, von Sehn- sucht und Demut, sie verkleiden Ängste, Hoffnungen und Bitten, sie demon- strieren Macht und Gesetz, Verpflichtung und Ordnung. In all den Ritualen, die wir in unseren eigenen und in aussereuropäischen Kulturen erleben, und in allem, was uns an Literatur zu diesem Thema begleitet, können wir stark ver- einfacht drei unterschiedliche Wirkungsebenen erkennen: das grössere Ganze und das Numinose, die Gemeinschaft oder die Kultur und eng verknüpft mit den ersten beiden das Individuum und seine Aufgabe.
Rituale sind überall auf der Welt aussergewöhnliche, nichtalltägliche Hand- lungen. Der heute so oft verwendete Begriff des „Alltagsrituals“ ist irreführend. Die täglich gleiche Art des Aufstehens, Zähneputzens, Kaffeemachens etc. ist ein gewohnheitsmässiges Verhaltensmuster, ein unbewusstes Handeln. Das einzige, was solche Handlungen mit Ritualen verbindet, ist die Wiederholung. Die Wiederholung ist zwar ein Charakteristikum von Ritualen, aber mindestens so wesentlich ist das Nicht-Gewohnheitsmässige, das geschärfte Bewusstsein in dieser Handlung. Das verbindende Element ritueller Handlungen ist, dass sie eine Hinbewegung ausdrücken. Die Hinbewegung ist unmittelbar mit der Raum- struktur des Rituals verbunden. Oft bezieht sich diese Bewegung auf eine sakrale „Mitte“ innerhalb eines definierten Raumes; Prozessionen und Pilger- reisen sind ein besonders deutlicher Ausdruck der Hinbewegung.
Die Grenze wird überschritten, um dahinter dem Besonderen zu begegnen, das die Kraft hat, zu verwandeln, zu entwickeln, in Ausgleich zu bringen oder was auch immer angestrebt wird. Hinter der Grenze wird das Ich ein anderes, etwas Neues und als das wird es, wenn es ins Gewohnte zurückkehrt, „neugeboren“. Dieser Ausflug jenseits der Grenze hat eine Wirkung auf das Hier – das erhofft man sich zumindest überall.- Momente des Dankes und der Würdigung
Rituelle Gestaltungen sind dann sinnvoll, wenn eine dankende Haltung oder Handlung ausgedrückt werden will. Dieses Danke kann sich auf vieles be- ziehen: Menschen (anwesende und nicht anwesende, lebende, aber auch schon verstorbene, Einzelpersonen oder Gruppen), Räume und Ressourcen, die zur Verfügung standen oder stehen; bestimmte Leistungen ideeller oder materieller Natur, spirituellen Schutz oder Schicksalskräfte. Dankende rituelle Gestaltungen sind getragen von Respekt und Achtung vor allem Lebendigen und werden so – im weitesten und ganz unspektakulären Sinne – zu spiri- tuellen Gefässen. Die Praxis hat uns gelehrt, dass die Bewegung des Dankes Frieden stiftende und mitunter heilende Wirkung auf Menschen oder Gruppen haben kann.

 

Momente der Übernahme von Verantwortung
Neben den Momenten des Dankes können rituelle Handlungen auch an Punkten sinnvoll sein, wo Einzelne oder Gruppen bestimmte Aufgaben über- nehmen. Hier unterstützen rituelle Gestaltungen das „Ja-Sagen“ zum eigenen Beitrag, das Anerkennen von sozialen Zusammenhängen und Verpflichtungen und die achtsame Zustimmung zur Welt, in der man lebt. Damit übernehmen sie erzieherische Funktionen, im Sinne der Wahrung von gemeinschaftlichen Werten und Strukturen.

 

Momente des Übergangs
Als Orientierungslinie für den Einsatz ritueller Gestaltungen gelten Situationen, in denen Einzelne oder Gruppenmarkante Veränderungsschritte machen. Neubeginn und Ende, Eintreten in neue Lebensabschnitte, Verabschiedung, Rückgabe oder Übergabe oder ähnliche bedeutsame Punkte für die Weiter- entwicklung.